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Kirchenasyl: Aushalten im goldenen Käfig

Ein Artikel mit Foto über das Kirchenasyl von Main-Post-Redakteur Wolfgang Jung in der Samstagsausgabe der Main-Post am 13. Juli 2019:

Seit der Verschärfung des Asylrechts müssen diese dort 18 Monate bleiben, bis sich ihre rechtliche Situation ändert.

Tibles R. ist kaum 1,60 Meter groß, zierlich, Deserteurin. Ein Jahr lang stand sie als Soldatin in den Truppen Eritreas an der Grenze zu Äthiopien. Dann türmte sie. Eritreische Soldatinnen und Soldaten wissen nicht, wie lange sie die Uniform tragen müssen. Nach Angaben von Amnesty International dauert der Militärdienst häufig Jahrzehnte lang.

Sie flüchtete nach Äthiopien, kam über den Sudan nach Libyen und übers Mittelmeer nach Italien. Dort bat sie um Asyl. So erzählt sie ihre Geschichte im Klostergarten der Ritaschwestern in der Sanderau. Mit ihr sind die Ritaschwester Angela Zehe und der evangelische Studentenpfarrer Ralph Baudisch. Sie sorgen sich um die junge Frau und raten ihr, für den Bericht dieser Redaktion ein Pseudonym zu wählen und sich nicht der Kamera zu zeigen.

Seit Jahren berichten Menschenrechtsorganisationen und Medien von katastrophalen Bedingungen für Flüchtlinge in Italien. Tibles R. erzählt, sie habe auf der Straße gelebt, sie habe kein Essen, nichts zu trinken, keine medizinische Versorgung bekommen. „Niemand kümmerte sich um uns”, sagt sie. Von der Polizei sei sie verscheucht worden.

Sie floh weiter. Vor knapp drei Jahren kam sie nach Deutschland und stellte erneut einen Asylantrag. Für Leute wie sie hat die EU die Dublin-III-Verordnung beschlossen. Sie müsste sich dem Asylverfahren in jenem Staat unterwerfen, in dem sie die EU betreten hat. Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) nahm den Asylantrag deshalb nicht an, sie klagte und verlor. Pfarrer Baudisch sagt, die Rückführung nach Italien hätte wieder „Straße, ohne Rechte und Versorgung” bedeutet. Tibles R. bittet die Ritaschwestern im Mai 2017 um Aufnahme ins Kirchenasyl. Die Schwestern nehmen sie auf.

Wer Kirchenasyl gewährt, unterstützt einen illegalen Aufenthalt. Es ist eine Verabredung zwischen einem Kloster oder einer Kirchengemeinde mit dem Staat, dass die Polizei nicht zugreift, wenn Schutzsuchende sich auf kirchlichem Boden aufhalten.

18 Monate müssen sie da aushalten, dann gilt die Dublin-III-Verordnung nicht mehr für sie. Bis zur Verschärfung des Asylrechts zum August des vergangenen Jahres dauerte diese sogenannte Überstellungsfrist sechs Monate lang.

Baudisch beschreibt das Kirchenasyl als „punktuelle humanitäre Hilfe”. Es sei ein „Brückenkopf für Menschen, die vom Untergehen bedroht sind. Und man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt.”

Wer im Kirchenasyl ist, hat kein Recht auf staatliche Leistungen, auch nicht auf medizinische. Zehe und Baudisch berichten von einem großen interkonfessionellen Netzwerk aus ehrenamtlichen Helfern, Spendern und Ärzten. Zehe erzählt, „wir hatten ein Jahr, da hatten wir 15 Personen im Kirchenasyl. Wir sind keine reiche Gemeinschaft, aber wir teilen miteinander”.

Das Kirchenasyl sei ein Schutzraum, aber auch ein goldener Käfig. Hier könnten sich Schutzsuchende und Beschützer zwar um Integration bemühen, die Angelegenheiten mit den Behörden erledigen, „die Anwaltsgeschichten und und und. Und das ist mühsam, um es mal nett zu sagen”. Die Dauer der Überstellungsfrist aber sprenge jeden Rahmen.

Spätestens nach neun Monaten fielen Schützlinge in eine depressive Phase und auch die Helfer kämen an ihre Grenzen. Die Belastung gehe an die Grenzen aller Beteiligten, „besonders der Flüchtlinge”. Baudisch nennt Nächstenliebe als die große Motivation durchzuhalten.Es gehe darum, „dass wir uns da nicht rausschummeln”, sagt die Ritaschwester, „egal wie eng es wird, und es wird ja zunehmend enger”. Wegen des ständigen Verschärfens des Asylrechts stünden die Helfer mittlerweile „zwischen Resignation, Wut und Ärger”.

2017 musste Tibles R. ein halbes Jahr lang im Kirchenasyl bleiben, bis das BAMF ihren Fall übernahm und ihr Asyl gewährte. Sie lernte Deutsch und machte Praktika, jetzt hat sie eine Stelle in der Klosterküche. Ihre Helfer stellen sie als Beispiel für die Sinnhaftigkeit des Kirchenasyls vor. „Mir geht es gut”, sagt sie. „Die Schwestern haben geholfen.”

Wolfgang Jung